Mittwoch, 25. Juli 2012

Das Imperium schlägt zurück


Nach zwei titellosen Jahren infolge zählt beim FC Bayern in der Jubiläumssaison der Bundesliga mehr denn je der sportliche Erfolg. Der Druck ist riesig und die Konkurrenz aus Dortmund ruht sich nicht auf dem Erreichten aus. Was muss in München passieren, um die Vorherrschaft im deutschen Fußball zurück zu erlangen?

Er war schon immer ein unbequemer Typ. Als Matthias Sammer im Frühjahr 2006 als Sportdirektor des DFB vorgestellt wurde, war noch nicht jedem im Umfeld des Verbandes klar, welche Aufgabe er überhaupt übernehmen würde. Nur eines war von Beginn an sicher: Der damalige Bundestrainer Jürgen Klinsmann und Sammer, das würde auf Dauer zu Reibereien führen. Und genau so war es dann auch kurze Zeit nach Sammers Amtsantritt. Er, der bis dahin nach der aktiven Karriere einige Jahre als Trainer an der Seitenlinie stand und mit Borussia Dortmund sogar die Meisterschaft holen konnte, war nun plötzlich, im Alter von nur 41 Jahren, Fußballfunktionär. Einer, der in der Frankfurter DFB-Zentrale ein eigenes Büro hat und von dort aus wesentliche Bereiche der Jugendarbeit im deutschen Fußball steuert. Es sollte dann auch nicht lange dauern, bis die Alphatiere Sammer und Klinsmann sowie später dessen Nachfolger Joachim Löw im Kompetenzgerangel um die U21, also den wichtigsten Teil der Nachwuchsabteilung, aneinandergerieten. Sammer beanspruchte als oberster Herrscher über die Nachwuchsausbildung eben auch die Macht über den direkten Unterbau der Nationalmannschaft, die Trainer hingegen plädierten dafür, diesen Bereich selbst abzudecken. Erst ein Machtwort des DFB-Präsidenten Theo Zwanziger, der die U21 in den Kompetenzbereich des Nationaltrainers verlegte, verhinderte eine offene Konfrontation. Eine herbe Niederlage für Sammer, mit der er sich in der Folge allerdings überraschend gut arrangierte. Zehn Jahre früher hätte der als Spieler für seine Heißblütigkeit bekannte Sammer sicherlich sofort die Brocken hingeworfen, doch stand für ihn seit Amtsantritt beim DFB stets alles hinter der Prämisse an, den deutschen Nachwuchs bestmöglich auf die Zukunft als Profispieler vorzubereiten. Sammer arbeitete gewissenhaft an Verbesserungen im System Nachwuchsförderung, messerscharfe Analysen und ein stetes Infragestellen des Ist-Zustands zeichneten ihn während seiner sechs Jahre in Frankfurt aus. Sammer ist einer, der einfach nicht locker lassen kann. Auf dem Platz war er stets bis in die Haarspitzen motiviert, ein geborener Leader, Antreiber. Einer, der vorangeht. Genau diese Eigenschaften, abzüglich der ihm früher von Zeit zu Zeit im Weg stehenden Emotionalität, bringt Sammer nun seit einigen Jahren auf der anderen Seite des Sports ein und entwickelte so das Nachwuchsförderungs-System des DFB zu einem der weltweit führenden.

Paukenschlag zum Trainingsauftakt 
All dies blieb natürlich auch in München nicht unbemerkt. Die Bayern stellten in ihrer eingehenden Saisonanalyse fest, dass sie dringend etwas ändern mussten, um so schnell es geht wieder an die Spitze des deutschen Vereinsfußballs zu gelangen. Dabei war den Verantwortlichen um Präsident Uli Hoeneß von Beginn an klar, dass Trainer Jupp Heynckes nicht ersetzt werden soll. Vielmehr war es sein eigener Kronprinz, der am Ende für die zwei titellosen Jahre die Verantwortung übernehmen und seinen Hut nehmen musste: Christian Nerlinger, den Hoeneß höchstselbst als seinen Nachfolger installierte, konnte die in ihn gesetzten Erwartungen nie wirklich erfüllen. Dass er die Tore nicht selbst schießen kann, ist auch den Bayern-Bossen bewusst. Vielmehr sprachen sie Nerlinger nun, nach zweijähriger "Ausbildung", die Fähigkeit ab, sich noch zu einem Alphatier entwickeln zu können. Die Entscheidung stand kurz nach Saisonende fest – es sollte die ganz große Lösung sein. Hoeneß und Co. wussten natürlich von der Klausel Sammers, die er sich bei seiner Vertragsverlängerung 2010 in den Kontrakt hatte schreiben lassen. Sammer hatte sich ein Hintertürchen für den Fall gelassen, dass der FCB bei ihm anklopft. Nicht einmal zwei Monate später ist er der neue starke Mann an der Säbener Straße. Uli Hoeneß wirkte nach Bekanntgabe der Verpflichtung Sammers hoch zufrieden, denn er schlägt gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: Sammer ist ein absoluter Fachmann, der ab sofort für den gesamten sportlichen Bereich des FCB verantwortlich ist. Zudem wird er die Aufgabe leidenschaftlich angehen und all sein Herzblut in die Arbeit beim Rekordmeister stecken. Hoeneß kann sich sicher sein, dass Sammer rigoros alles dem Erfolg des Vereins unterordnen wird. In dieser Hinsicht sind sich beide sehr ähnlich. Hoeneß gefällt das. Nicht zu vergessen zudem, dass Sammer immer ein Mann der klaren Worte war. Einer, der schonungslos Missstände anspricht und oft – wieder ähnlich Hoeneß in besten Zeiten – ohne Rücksicht auf Verluste die Konfrontation sucht. Die Abteilung Attacke lahmte beim FCB in den vergangenen zwei Spielzeiten. Auch, weil Christian Nerlinger sie selten bediente – und wenn, dann wirkte es aufgesetzt und manchmal gar unfreiwillig komisch. Sammer ist da ein ganz anderes Kaliber und er wird von den Bossen, zu denen er Kraft seines Vorstandssitzes nun auch gehört, mit Sicherheit angehalten, von Zeit zu Zeit ein bisschen Würze in den Titelkampf der kommenden Saison zu bringen.

Dauerhafter Konkurrent
Denn es ist nicht zu vermuten, dass Borussia Dortmund den Meister-Hattrick nach zwei Titeln infolge einfach so herschenken wird. Trotz des Abgangs von Shinji Kagawa hat sich der Doublesieger 2012 personell noch verstärken können. Gerade die Verpflichtung des besten Spielers der abgelaufenen Spielzeit, Marco Reus, macht die Westfalen in ihrem Offensivspiel noch flexibler und gefährlicher. Den Bayern ist da in den vergangenen zwei Jahren ein würdiger Gegner erwachsen, der sich durchaus langfristig an der Spitze der Liga etablieren kann. Die Vormachtstellung der Bayern wird die Borussia auch in den kommenden 20 Jahren nicht brechen können. Den Rekordmeister das eine oder andere Jahr aber kräftig zu ärgern ist durchaus im Bereich des Möglichen. Die Bayern-Führungsriege weiß das und sah sich nun, da der ganz große personelle Umbruch in diesem Jahr ausblieb, höchstwahrscheinlich in der Angst, seine Ziele in der kommenden Saison erneut zu verfehlen, zum Handeln gezwungen. Die Verpflichtung Mattias Sammers ist nicht zuletzt auch ein Zeichen an die Konkurrenz: Seht her, wir sind wieder gut aufgestellt. Dass Sammer eine intensive BVB-Vergangenheit hat, spielte bei dem Coup keine Rolle, verleiht dem Ganzen aber eine Extra-Prise Brisanz.

Bayern, Dortmund – und dann?
Der Meisterkampf wird voraussichtlich zwischen den beiden Schwergewichten der Liga ausgetragen, dahinter ist zum jetzigen Zeitpunkt keine Mannschaft in Sichtweite, die vom Potenzial her ganz weit vorn mitmischen kann. Natürlich kann es nach Borussia Mönchengladbach durchaus wieder eine Mannschaft geben, bei der alles passt und die vorn hereinstößt. Doch außer den Schalkern ist so etwas – Stand jetzt –  keinem anderen Team zuzutrauen. Vielmehr zeichnet sich schon vor Saisonstart ein erneutes Hauen und Stechen um die begehrten Europapokal-Plätze ab. Leverkusen, Stuttgart, Hannover, die es in diesem Jahr an die großen Fleischtöpfe geschafft haben, wollen natürlich mindestens erneut so abschneiden wie 2012. Einfach wird dieses Unterfangen jedoch vor allem für 96 und die Schwaben nicht, denn von hinten drücken finanzstarke Teams – und das mit Macht. Vor allem die personell aufgerüstete TSG aus Hoffenheim und der VfL Wolfsburg haben ehrgeizige Ziele ausgegeben. Ihnen traut man durchaus zu, eine sehr gute Rolle zu spielen. Neben Meisterschaft und Kampf um die Europapokalplätze ist es in jedem Jahr der Abstigskampf, der die größten Emotionen liefert. Hier werden neben den drei Aufsteigern die üblichen Verdächtigen vermutet: Freiburg und Augsburg stehen bei den Buchmachern als potenzielle Absteiger ebenso hoch im Kurs. 

Faszination Bundesliga
Das Schöne am Fußball generell und der Bundesliga im Speziellen ist aber auch anno 2012 noch immer, dass jegliche Voraussagungen für nichtig erklärt werden können, sobald der erste Anpfiff erfolgt ist. Das ist wahrscheinlich die beste Nachricht zum 50. Jubiläum der Liga: Der Fußball bleibt in seinen Grundzügen, wie er immer war. Nämlich emotional, faszinierend und unvorhersehbar. Gute Aussichten für die nächsten 50, oder?